Gedächtnisprotokoll anhand einer Mitschrift der Samtag-Diskussion (mit ca. 120 Teilnehmern) am 15.1.2000, 14,10 Uhr bis 18,10 Uhr im RadioCafe, A-1040 Wien, Argentinierstr. 30a, mit dem angekündigten Arbeitstitel:

Was geschieht in Tschetschenien (T.)?

  1. Helga KÖCHER / "Brücken für den Frieden":
    Begrüßung der Teilnehmer am Podium und der PUBLIKUMsgäste; Übergabe an die Moderatorin Elisa VASS / ORF.
  2. Elisa VASS / ORF (Moderatorin):
    * Der T.-Krieg wird von der russischen Seite als Terroristen-Bekämpfung, von der t. Seite als Unabhängigkeitskampf deklariert. Und der Westen sieht in den T. vorwiegend die Opfer russischer Großmachtgefühle und beurteilt die russ. Militäroperationen als ungerecht.
    * Wir haben heute hier Vertreter verschiedener Seiten und hoffen so der Problematik tiefer auf dem Grund gehen zu können.
  3. Dr. Melita SUNJIC / UNHCR, Pressesprecherin:
    Ich gehe zunächst auf die mir naheliegenste Seite des Konfliktes ein, nämlich die Flüchtlingsfrage:
    * Es gibt derzeit ca. 150 bis 180 Tausend Flüchtinge als Folge dieses gewaltsamen Konfliktes. Der Großteil davon ist derzeit in Inguschetien bei Familien untergebracht, ein kleinerer Teil in Lagern und öffentlichen Gebäuden, wie in Schulen etc.. In Dagestan sind ca. 15 Tausend Flüchtlinge. Darüber hinaus gibt es noch eine nicht genauer bekannte Anzahl von Binnenflüchtlingen, die in T. hin und her ziehen, um den größten Gefahren auszuweichen bzw. um sicherere Überlebensplätze zu suchen.
    * In Inguschetien sind die Flüchtlinge derzeit mit den allernotwendigsten Dinge einigermassen versorgt: Wasser, Lebensmittel, Sanitäres.
    * Aber in Grosny sind noch ca. 30 Tausend Menschen in einer Art Falle. Und derzeit ist kein Zugang nach T. von aussen her möglich, etwa um Angehörige mit Lebensmittel zu versorgen.
    * Daher existiert in T. derzeit ein Schwarzmarkt, wo Lebensmittel etc. zu horrenden Preisen gehandelt werden.
  4. Dr. Franz KUMPEL / Slawist, dzt. CARE-Österreich, zuständig für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion:
    * Es handelt sich hier um eine humanitäre Katastrophe im Zuge eines Vernichtungskrieges gegenüber dem t. Volk. Es ist ein Krieg mit Kriegsverbrechen, da die Flächenbombardements und Boden-Boden-Raketen nicht unterscheiden zwischen den zivilen Betroffenen, die in die Flucht getrieben werden, und den gegnerischen Kämpfern.
    * In T. selbst herrscht akuter Mangel an Medikamenten.
    * Alle 10 - 60 jährigen männlichen Personen dürfen die Grenze nach T. nicht überschreiten.
    * Nach Inguschetien, Nordossetien und Dagestan ist der Zugang durch restriktive Visa beschränkt, und für Hilfsorganisationen - wie die unsere - ist defacto ein Zwang zur Zusammenarbeit mit der russ. Organisation MRCOM gegeben. Die Hilfsorganisationen fordern daher eine ungehinderte Arbeits- und Einsatzmöglichkeit, und auch Sanktionen gegen Russland (Krediteinfrierungen etc.).
  5. Dr. Peter HAVLIK / Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, Wien:
    * Es ist richtig, dass der Großteil der russ. Bevölkerung die Militäraktion gegen T. unterstützt, hauptsächlich weil es den Zerfall Russlands verhindern will; und es will nicht mehr auf den Westen hören, da seit der Wirtschaftskrise 1998 in Russland die Enttäuschung gegenüber der westlichen Marktwirtschaft sehr groß geworden ist. Russlands Wirtschaft wächst jetzt wieder, wozu die Abwertung in Zuge der Krise 98 und die erhöhten Energiepreise der letzten Zeit beigetragen haben. - Sie wollen nun wieder einen stärkeren Staat. Die abgelaufenen NATO-Aktionen im Kosovo-Konflikt verstärken diese Tendenzen weiter. Und PUTIN genießt deshalb breite Zustimmung, weil er diesen "stärkeren Staat" repräsentiert. Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland waren noch nie so schlecht wie jetzt - seit der Wende 89.
  6. Dr. Leo GABRIEL / Publizist und Kulturanthropologe, Wien:
    * Die historische Erfahrung lehrt, dass ethnische Konflikte nie militärisch gelöst werden konnten.
    * Bzgl. T. muss man auch zwischen BASSAJEW einerseits und den Fundamentalisten andererseits unterscheiden, und dann gibt es noch drittens eine nationalistische Richtung, die sich nach den Westen und der EU hin orientieren wollte, und schließlich den demokratisch gewählten MASCHADOW. Allerdings diese Unterschiede hat der Krieg, den Russland nun gegen T. vorträgt, weggeschmolzen, gegen den gemeinsamen Gegner Russland sind sie wieder geeint.
    * Die Frage nach dem Grad der Autonomie, der auch ökonomisch realistisch für eine Überlebensfähigkeit dieser Region ist, bleibt allerdings offen.
    * In Russland ist nun wieder das Militär mit dominanter stimme bei PUTIN vertreten. Ich war selbst noch im November 99 in T. und habe mit t. Gruppen gesprochen. Eine Idee, die dabei vorgetragen wurde, war, dass man eine entmilitarisierte Zone rund um Grosny bilden sollte, die unter internationale Kontrolle gestellt werden soll.
    * Der österr. Aussenminister Schüssel trat zwar kürzlich als OSZE-Vorsitzender für ein politische Lösung in T. ein, allerdings sind diese Vorstösse zu schwach. Ich lasse daher einen Brief herumgehen, und ersuche um Mitunterzeichnung, in dem ein sofortiger Waffenstillstand gefordert wird.
  7. Dr. Martin MALEK / österr. Landesverteidigungsakademie:
    * Wann wird der Westen reagieren?
    * Ich will zunächst 6 Widersprüche in der russ. T.-Politik aufzeigen:
    1. Russland sagt Ja zur OSZE, lässt jetzt aber keine Vermittlung durch die OSZE zu (1996/97 beim ersten T.-Krieg hat sich diese aber positiv ausgewirkt).
    2. In T. wird angeblich auch insbes. der islam. Fundamentalismus bekämpft, durch die Waffenlieferungen an den Iran aber fördert man den islam. Fundamentalismus und unterhält gute Beziehungen.
    3. Russland will keine Einmischung in "innere Angelegenheiten", aber T. ist ein Krieg, der eine "eigenartige innnere Angelegenheit" wäre, zumal Russland in die selbständigen Staaten des Baltikums sich sehr wohl einmischt, etwa durch andauernd gestellte Forderungen.
    4. In T. will Russland einen sog. "bewaffneten Separatismus" als Terrorismus bekämpfen, in z.B. in Südossetien, Berg-Karabach begrüßte sie diesen.
    5. Russland wurde 1996 in den Europarat aufgenommen, und hat damit gewisse menschenrechtliche Verpflichtungen übernommen, die es nun gravierend verletzt.
    6. In T. verletzt Russland die ABM-Verpflichtungen: Im Kaukasus befinden sich nun um 60% mehr Rüstungsgüter als durch ABM vereinbart, Russland gefährdet so die angebahnten Kredite durch WB, IMF, Japan und die USA.
  8. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    * Die westlichen Medien sind in ihrer Berichterstattung einseitig: Es werden z.B. nicht die Hintergründe des T.-Konfliktes behandelt. T. hat nämlich 1996 durch ein terroristisches Eindringen in Dagestan den Konflikt ausgelöst. T. Gruppen verüben am laufenden Band Geiselnahmen (derzeit sind so noch etwa 800 Personen in t. Gewalt) , Folter, Erpressung, Sklavenhaltung, Menschen- und Drogenhandel, und Terrorakte in russischen Städten.
    * Russland führt daher nun eine antiterroristische militärische Operation gegen den "Schurkenstaat" T. durch. Es handelt sich um "Banditen", mit denen Russland nicht verhandelt da sie keine anerkennenswerte Konfliktpartei sind. Der gewählte Präsident MAKADOV war nicht mehr "Herr im eigenen Haus"; T. war bereits defacto in Sektoren aufgeteilt, in denen jeweils "Feldkommandanten" das Regime führten wie sie wollten. Auch werden Flüchtlinge als Schild für die Terroristen eingesetzt.
    * Nach Beendigung der Militäroperation wird Russland den Wiederaufbau der Infrastruktur in T. befördern.
    * Über die gesamte Vorgehensweise in T. sind sich alle Kräfte in Russland einig. Die Internationalen Organisation sollten sich daher auf Humanitäre Aktionen beschränken, und weder gute Ratschläge geben, noch einen politische Tourismus fördern.
  9. Mag. Gerhard MANGOTT / Österr. Institut für Internationale Politik, Laxenburg:
    * Nach den Verhandlungen 1996 wurde der sog. "Kasadov-Prozess" nicht genutzt.
    * Es ist richtig, dass sich T. nun zu einer Zone der Rechtlosigkeit entwickelt hat, aber man muss auch sagen, dass in Russland Leute im Umkreis des russ. Präsidenten daran mitverdient haben. Und der T.Konflikt wird für russ. Interna intrumentalisiert, etwa dass das Kriegsziel so definiert ist, weil es PUTINs Positionierung im Rennen um das Präsidentenamt dient.
    * Der Konflikt ist aber militärisch nicht lösbar. Wer soll eigentlich nach dem nunmehrigen Krieg der Ansprech- und Verhandlungspartner der russ. Verhandler oder Verwalter sein.
  10. Dr. Lisa MARKSTEIN / Übersetzerin, Wien:
    * Es ist bedauerlich, dass die Karikaturen, die einige renommierte Literatur-Zeitschriften in Russland nun über die T. führen, diese als "Rübezahls" erscheinen lässt.
    * JABLINSKI, der einzige der es wagte im russ. Fernsehen bzgl. des T.-Konfliktes für Verhandlungen zu plädieren, wurde von TSCHUBAIS daraufhin öffentlich als Verräter bezeichnet.
    * Die Terminologie, die bzgl. der T. in offiziellen Statements gebraucht wird, verwendet am häufigsten das Wort "Liquidieren" - der wichtigsten T.- Führer.
    * In russ. Städten wie Moskau kommt es häufig zur "Perlustrierung" von Personen, die wie "Südländer" aussehen, obwohl sie sich als Russen ausweisen können.
    * Tolstoi bezeichnete in einem seiner letzten Werke den Kampf der T. als "Befreiungskampf".
    * Grosny bedeutet "die drohende Festung", ein Name, der von den Russen gegeben wurde, - die T. bezeichnen ihre Hauptstadt anders.
  11. Fr. Emilie KRAUSNEKER / Dipl. Dolmetscherin, Wien:
    * Die T. haben nun in Russland kein Wohnrecht mehr. Das Flächenbombardement differenziert nicht mehr - und kann auch nicht differenzieren - zwischen Kombattanten und Zivilisten.
    * Ziel der russ. Militäroperationen ist die völlige Ausrottung des T.-systems; jede t. männliche Person über 10 Jahren gilt dabei - in der diese Operation begleitenden Sprachregelung - als "Bandit".
    * Als ich bei meinem kürzlichen Besuch in T. den Rektor der Universität von Grosny, die nun nach Nasran übersiedelt ist, fragte, was der Westen tun könne, antwortete er, dass man ihm vielleicht Unterrichtsmaterialien senden könnte; er wolle nach Kräften vermeiden, dass eine ganze Generation der t. Jugend ohne höhere Ausbildung bleibt, was aber dem t. Volk drohe, und es damit von aller fortschrittlichen Entwicklung abschneide.
  12. Boris BUDEN / Schriftsteller aus Kroatien:
    * Nachdem die moralische Empörung in den nunmehr 10jährigen jugoslawischen kriegerischen Wirren nichts gebracht hat, möchte ich es mit einem anderen Ansatz versuchen, der rein "rationalen Analyse":
    * Vordergründig sieht es so aus, als ob der Westen im blutigen T.-Konflikt tatenlos zusähe, da Russland eine Atommacht ist. Aber dies könnte ein tieferliegendes Dilemma nur verdecken: Die Kosovo-Intervention erweist sich eigentlich als eine Niederlage des Westens, da es offensichtlich nicht gelingt, ein von demokratischer Ordnung getragenes Zusammenleben zu erreichen. Kosovo ist inzwischen so gut wie "ethnisch rein", wobei - was weniger bekannt ist - die Roma die meisten Opfer diesbzgl. zu beklagen haben. In Wirklichkeit hat der Westen keinerlei Konzept ausser der militärischen Präsenz, ein "Stand-by"-Zustand.
    * Der tiefere Grund, warum der Westen kein Konzept für den Kosovo, - und auch für ähnliche Fälle - hat, scheint mir in dem theoretisch und praktisch unaufgelösten Widerspruch zwischen "Souveränität und Selbstbestimmungsrecht der Völker" zu liegen.
  13. Wolfgang CLIMA / Islamkunde, Wien:
    * T. ist ein Land, wo die islamische Mystik stark gepflegt wird. Von der im Land ansässigen Population sind 75% T. und diese sind zu fast 100% Muslime. Der Islam kam etwa 1800 nach T. hinein und seit über 100 Jahren wollen die T. einen eigenen Staat. Und das wird immer so bleiben.
    * Es handelt sich aber nicht um einen islamischen Fundamentalismus, sondern um islamische Sufi-Bruderschaften (in der Nachfolge des Meisters NAKSBANDI), die eine Reihe von Übungen praktizieren, auch solche die die Begeisterungfähigkeit steigern können etc.. Einige dieser Bruderschaften können auch sehr kriegerisch werden.
  14. Elisa VASS / ORF (Moderatorin):
    Wie aus einer Reihe von Aussagen hervorgeht, fehlt der Russischen Führung offenbar eine klare T.-Politik. Man munkelt, dass auch der terroristische Anschlag auf ein Wohnhaus in Moskau mit der russ. Org. FSB zusammenhängen könnte. Jedenfalls ist ein Zusammenhang mit dem Machtkampf innerhalb Russlands gegeben.
  15. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    Die T. hatten seit 1996/97 Zeit, die damals ausverhandelte "praktische Unabhängigkeit" (innerhalb GUS) zu nutzen und entsprechend intern auszubauen, ausserdem erhielt es finanzielle Mittel aus Russland. Dass die FSB oder andere russ. Organisation in den Terroranschlag auf ein Wohnhaus verwickelt sein könnten, ist rein spekulativer Blödsinn. Auch gab es keinen Grund, einen Anlass zu inszenieren, der T.-Konflikt war Grund genug für ein militärisches Einschreiten Russlands, nachdem auch MASCHADOW den "Dschihad" (den heiligen Krieg) gegen die russische Föderation ausgerufen hatte. Und in T. wohnen auch Russen. Ebenso wie relativ viele T. in Moskau sind, und auch als Unternehmer sehr eifrig tätig sind; so sind etwa fast alle Brauereien Russlands in t. Hand.
    * Aber es ist richtig, dass derzeit in Russland ein Machtkampf stattfindet, es werden ja auch bald neue Präsidentenwahlen sein.
    * Und Russland hat die OSZE und alle Mitgliedstaaten der OSZE von seinem Vorgehen benachrichtigt.
  16. DIE MODERATORIN ERÖFFNET NUN DIE DISKUSSION MIT DEM ANWESENDEN PUBLIKUM:
  17. Erste Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, ein älterer Mann:
    * Die Gerechtigkeit ist ein universeller Wert. Daher ist jeder Zentralismus, der Minoritäten beschneidet eine sehr zweifelhafte Sache. Jede Minderheit sollte daher das Recht zur Secession aus dem Staatsverband haben.
    * Wenn dies die Zentralmacht verweigert, kann oft eine Art Terrorismus die einzige Antwort dieser Minderheit sein, wie wir ja in letzter Zeit gesehen haben. Der Terrorismus aber ist eine Sackgasse.
  18. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    Die T. hatten in den drei Jahren seit 1997 genügend Zeit, wenn ein klarer Wille dazu da gewesen wäre, ein Unabhängigkeit - Referendum durchzuführen. Das haben sie aber nicht getan.
  19. Zweite Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, Fr. LUNACEK / aussenpolitische Sprecherin der "Grünen" im österr. Parlament:
    * Dieses Gremium sollte abschließend eine Brief an den österr. Aussenminister Dr. Schüssel beschließen, in dem dieser nachdrücklich aufgefordert wird, als Vorsitzender der OSZE ein OSZE-Programm auszuarbeiten, das die bisher fehlenden entsprechenden Maßnahmen und Vorschläge für eine gewaltfreie Konfliktbewältigung enthält.
    * Im übrigen kann ich die Ausführungen von Mag. MANGOTT nur unterstreichen.
    * Eine politische Lösung ist seitens der Russ. Föderation nirgends in Sicht, daher wäre es doch auch seitens der Russlands sehr sinnvoll "Vermittler" einzuschalten. Vermittlung ist in diesem Fall ganz offensichtlich nötig.
  20. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    Russland hat beschlossen, dass es nun einmal die militärische Operation zu Ende führen will. Da der Krieg 1996 zeigte, dass Verhandlungspausen von den Rebellen immer zu einer Verstärkung ihrer Kampfkraft geführt hat, will Russland verständlicherweise dies nicht mehr zulassen, da damit auch seine Soldaten einer erhöhten Gefahr ausgesetzt würden.
    * Wenn die Militäroperation abgeschlossen ist, muss es zu einem Wiederaufbau kommen, und dann ist auch die Mitarbeit anderer möglich.
    * Wahlen in T. kann es erst nach Russlands Sieg geben.
  21. Mag. Gerhard MANGOTT / Österr. Institut für Internationale Politik, Laxenburg:
    * Das kann aber bedeuten, dass es dann in T. nur zu einer "Marionetten-Regierung" kommt.
  22. Dr. Martin MALEK / österr. Landesverteidigungsakademie:
    * Wenn Russland als Begründung für die Militäroperation die Verbrechen in der Region anführt, so müsste es nach dieser Logik in vielen Regionen militärisch intervenieren, von St. Petersburg angefangen.
  23. Dritte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, ein sehr erregter Mann:
    * Die Blauäugigkeit der bisherigen Diskussion ist beängstigend: Alle bisherigen sog. Experten übersehen über den Details den entscheidenen Faktor, nämlich die politische Weltlage; nur aus einem Verständnis dieser kann man auch den T.- Konflikt verstehen, nämlich
    ++ Erstens, diktiert derzeit die NATO den Völkern der Welt.
    ++ Zweitens, expandiert die NATO seit einigen Jahren systematisch Richtung Osten, und insbes. nach dem Kaukasus.
    ++ Drittens, solle man sich einmal als Beispiel den Afghanistan - Konflikt näher ansehen: Die CIA-Basen in Pakistan unterstützten alle bewaffneten Gruppierungen und letztlich insbes. die Taliban, denn sonst wäre diese Gruppierung nicht so rasch und zügig zur Macht in praktisch ganz Afghanistan gelangt.
    ++ Viertens, wird Russland derart von zwei Seiten systematisch eingekreist.
    ++ Fünftens, führt die NATO auch einen Wirtschaftskrieg, in dieser Region durch den Bau der neuen Erdöl-Pipeline nach Baku.
    ++ Sechstens, kann man so langsam die Schärfe der russ. Reaktion verstehen.
    * Dennoch bin ich grundsätzlich gegen gewaltsame Lösungen.
  24. Dr. Melita SUNJIC, UNHCR, Pressesprecherin:
    * Es zeigt sich immer wieder, dass in ethnischen Konflikten es schnell zu einer Einteilung in "Gute" und "Schlechte" kommt, gleichsam reflexartig.
    * Wenn es sich - wie Russland argumentiert - tatsächlich um Terrorakte handelt, so wären Polizeiaktionen die adäquaten Antworten, nicht aber militärische Bombardements, die undifferenziert auch Zivilbevölkerung treffen kann und trifft.
    * Die Militärische Operation simplifiziert das dem Konflikt zugrundeliegende Problem. Das hat sich auch besonders deutlich im jüngsten Konflikt zwischen Serben und Kroaten gezeigt, und es bewirkt jeweils intern eine Stärkung des "Faschistoiden".
    * Minoritäten lassen sich immer finden, bis hinunter auf die kleinste Ebene. Sie können wie "Russische Puppen" als ineinander verschachtelte Einheiten verstanden werden, - immer sind dann irgendwo noch kleinere Einheiten enthalten. - Daher ist die Separation jeder Minorität nicht die Lösung, sondern eher Massnahmen, die Spannung aus den Verhältnissen zwischen den Einheiten herausnehmen (können). Und das kann am ehesten durch eine Stärkung der "demokratischen Zivilgesellschaft" geschehen.
    * "Schnelle Lösungen", also etwa solche, die die mühsame Arbeit des Aufbaus einer demokratischen Zivilgesellschaft umgehen wollen, sind problematisch und werden wahrscheinlich nicht haltbar sein, da es ihnen an "innerer (sozialer etc.) Substanz" fehlt.
  25. Dr. Peter HAVLIK / Institut für Wirtschaftsvergleiche, Wien:
    Für den Bau der neuen Pipelines - und insbes. der nach Baku - sind natürlich wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend, aber solche Interessen haben nicht nur westliche Staaten, sondern auch Russland selbst, und z. B. auch die Türkei.
  26. Vierte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, eine sehr junge Frau:
    * Der Westen instrumentalisiert den T.-Konflikt, denn er verwirklicht die dbzgl. gestellten Forderungen im eigenen Bereich auch nicht. So hat z.B. die EU unlängst die Türkei in den Kandidaten - Status aufgenommen, obwohl die Kurden seit Jahrzehnten in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen von der Türkei gewaltsam unterdrückt werden.
    * Solche Diskurse, wie sie hier geführt werden, fachen den T.-Konflikt weiter an.
    * Die Sufis, die als die vorherrschende islamische Richtung in T. schon genannt wurden, sind sicher keine Fundamentalisten.
  27. Dr. Leo GABRIEL / Journalist und Kulturanthropologe, Wien:
    * Zu diesem Diskurs möchte ich sagen, dass keine einseitige Identifikation mit einer Seite vorgenommen wird, sondern dass für diesen Konflikt - wie für andere auch - Spielregeln und deren Einhaltung eingefordert werden.
    * Die nationale Souveränität ist keine "heilige Kuh", in deren Namen z.B. einfach Gewalt gerechtfertigt wäre. - Dieser Komplex ist aber derzeit in Russland ebenso ein Problem wie in Lateinamerika (vgl. Chiappas-Konflikt in Mexiko).
  28. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    * Russland braucht nicht irgendwelche Ratschläge, wenn schon, dann nur "gute".
    * Der Westen hat bzgl. T. einen "Doppel-Standard": nämlich was die T. tun, ihre Verbrechen, interessieren den Westen nicht.
    * Russland will natürlich nicht isoliert werden, z.B. nicht einseitig angeprangert werden, mit zu generalisierenden Vorwürfen bedacht werden.
  29. Elisa VASS / ORF (Moderatorin):
    Ist der Vorwurf der flächendeckenden Bombardements etwa auch "zu generalisierend"?
  30. Fr. Emilie KRAUSNEKER / Dipl. Dolmetscherin, Wien:
    * Es befinden sich noch immer einige Journalisten in T.
    * Die dringendste Forderung vieler Journalisten (und auch z.B. von DUVE) ist, dass eine Vermittlung zugelassen werde. Die Erfahrung der demokratischen Wahl in T. 1997 zeigt, dass es dann gut gelaufen ist.
  31. Fünfte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, ein Mann:
    * Aus dem Studium der letzten 400 Jahre russischer Politik ersieht man, dass Russland immer und insbes. in den letzten 200, 150 und 100 Jahren kleinere Völker unterdrückt hat. Nun kommt eine Emanzipationsbewegung dieser kleineren Völker, insbes. rund um das Kaspische Meer und von da bis China; die Erdöl - Frage spielt dabei offensichtlich hinein.
    * Die T. sind keine Terroristen und keine Fundamentalisten (weniger jedenfalls als die Kasachen).
    * Alle politischen Kräfte sind mehr oder weniger in den T.-Konflikt hineinverwickelt: natürlich Russland und die T., aber auch die NATO, etc.).
    * Dass die Anschläge in Moskau von russ. Geheimdiensten inszeniert waren, hat ein Geheimdienst - Offizier (in t. Gefangenschaft?) zugegeben.
  32. Dr. Franz KUMPEL / CARE - Österreich; Slawist:
    * Die Schuldfrage ist auch eine Sache der Informationspolitik, daher ist es schwierig dazu von hieraus und derzeit eindeutige Aussagen zu machen.
    * Sicher ist jedenfalls, dass Lebensmittel und Medikamente etc. in der Konfliktregion dringend benötigt werden. Ohne Hilfe von aussen wird dies zu einem Krieg gegen die Bevölkerung vor Ort. - Daher meine konkrete Frage an den Vertreter der russ. Botschaft:
    + + Können humanitäre Hilfeaktion auch ohne die "zwangsweise Kooperation" mit der russ. Organisation MRCOM stattfinden oder nicht, denn dies stellt ein wesentliches Hindernis für eine effiziente, zielsichere und schnelle Hilfe dar?
    + + Wie steht es mit der Visapflicht in diesem Zusammenhang, - gibt es Beschränkungen bzgl. der Visa in die Nachbarstaaten?
    + + Wie kann das Problem der Sicherheit der internationalen Vertreter in der Konfliktregion gelöst werden, ohne zu einer Behinderung deren wichtiger humanitärer Arbeit zu werden?
  33. Boris BUDEN / Schriftsteller aus Kroatien:
    * Ich stelle noch einmal provokante, wichtige Fragen in den Raum:
    + + Das Publikum hier, wie allgemein im Westen, identifiziert sich eher mit den T. - warum? Und was ist der Inhalt dieser Identifikation? - Sicher ist, dass die russische Soldateska wesentlicher besser ist als die serbische Soldateska im kürzlichen Jugoslawien-Konflikt.
    + + Der Westen hat ÖZALAN an die Türkei ausgeliefert? - Warum? Kann sich der Westen mit den unterdrückten Kurden weniger identifizieren als mit den T.? - Es muss also immer auch nach dem wirtschaftlichen Interessen, dem wirtschaftlichen Substrat eines Konfliktes gesucht werden.
    + + Ist das echte Kernproblem etwa doch das NATO-Problem?
  34. Dr. Lisa MARKSTEIN / Übersetzerin:
    * Sicher ist aber auch, dass jedenfalls die von den russischen Militärs angewendeten Mittel inadäquat sind, zu undifferenziert auch Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zieht. Und dazu vorallem sollte hier auch eine Willensäusserung stattfinden!
  35. Sechste Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, ein älterer Mann:
    * Es handelt sich beim T.-Konflikt um ein weiteres Beispiel von Unabhängigkeitsbestrebungen. Da sie im Bereich der ehemaligen Sowjetunion stattfindet, begrüsst der Westen dies, - als Zerstückelung dieses ehemalig SU-Gebietes. - Der Westen ist aber gegenüber den Unabhängigkeitsbestrebungen etwa der Basken, der Korsen und der Kurden anders eingestellt. Was würde man z.B. sagen, wenn - um ein extremes Beispiel zu nennen - sich Alaska von den USA abspalten wollte?
  36. Dr. Lisa MARKSTEIN / Übersetzerin, Wien:
    * Der Westen hat ein humanistisches und ein aggressives Problem bzgl. des T.-Konfliktes. Das heikelste Problem im Hintergrund ist dabei, dass Russland sich wieder mehr einem totalitären Staatssystem annähern könnte.
  37. Dr. Peter HAVLIK / Institut für Wirtschaftsvergleiche, Wien:
    * Das grundsätzliche Problem in einer Konfliktregion wie T. ist, dass die Entwicklung sehr stark von der Stimmung in Russland, in Moskau, etc. abhängt; und das ist ein Problem das die derzeitigen Strukturen in Russland betrifft.
  38. Mag. Gerhard MANGOTT / Österr. Institut für Internationale Politik, Laxenburg:
    * Es wird immer klarer, dass die mediale Aufbereitung - als Stimmungsmacher etc. - zu einem der Hauptprobleme in der Politik der letzten Jahre allgemein geworden ist.
    * Was Russland betrifft, muss man sich vor Augen halten, dass Russland seit der Wende 1989 eigentlich permanent auf dem Rückzug ist. - Weiters muss eine innere Verwahrlosung in Russland festgestellt werden. - In dieser Situation muss ein neuer Staatslenker Führungsqualitäten zeigen, und PUTIN glaubt irgendwie signalisieren zu müssen, dass er willensstark und entschlossen ist.
  39. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien, übergibt das ihn erteilte Wort an einen Vertreter der Konsularabteilung der russ. Botschaft in Wien, der gekommen war, und seit einiger Zeit aus dem PUBLIKUM der Diskussion gefolgt war:
    * Es ist in der Diskussion bisher viel antirussische Haltung erkennbar, ja öfter ein Hass heraushörbar auf Russland. Aber die Terroristen verstehen nur eine Sprache, die die 1000 Argumente in der Minute produzieren kann, das Maschinengewehr. - Dass es aber dabei möglichst wenig zivile Opfer geben soll, ist selbstverständlich. Dennoch muss man sagen, dass die Zivilisten eben aus der Kampfzone herausgehen sollen, wenn sie sich ausser Gefahr befinden wollen.
    * Es gibt aber auch viele T. in Moskau; und die haben es dort besser als die Türken in Wien.
    * Was die Visa betrifft, so gibt es keine Beschränkungen für die Einreise in die Nachbarstaaten T.s.
    * Man muss aber auch verstehen, dass die russ. Behörden, wenn sie fremde Personen - auch von internationalen Organisationen - in eine Krisenzone einreisen lassen, eine Verantwortung damit übernehmen, und daher wird die Kampfzone natürlich nicht freigegeben, sonst würde ja - wenn etwas passiert - Russland verantwortlich gemacht werden. Aber für die anderen Gebiete werden die Einreisewilligen darauf aufmerksam gemacht, dass sie selbst die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen, und erst dann wird ihnen ein Visum gegeben.
  40. Siebente Wortmeldung aus dem PUBLIKUM:
    * Viel hängt von den Interessen an der Region ab. Russland muss auch ein deutliches Interesse an der Konfliktbereinigung haben, damit es in dieser Richtung arbeitet. Alle Szenarien in dieser Region haben auch eine historische Dimension, die zuwenig betont wurde.
  41. Achte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, eine engagierte Frau:
    * Erstens, wird hier ein rassistischer Diskurs abgeführt, geprägt von der unterschwelligen stereotypen Konnotation, dass "Slawen demokratieunfähig" wären.
    * Zweitens wird blauäugig über die internationale Vermittlungstätigkeit geredet, vergessend dass NATO-Überflieger als OSZE-Überflieger konstruiert werden, wenn es dem Westen in den Kram passt.
    * Drittens, wird vergessen, dass es sich im Kern um eine "soziale Frage" handelt: Und da investiert der Westen nur dort, wo er ein Rendite hat oder erwarten kann.
  42. Dr. Leo GABRIEL / Journalist und Kulturanthropologe, Wien:
    * Es herrscht vielfach - aus den Wortmeldungen ersichtlich - ein falsches Rollenverständnis über "Zivilgesellschaft" und "Politiker" vor, daher ist auch z.B. nicht ein Aussenminister Dr. Schüssel das Problem.
    * Jedenfalls gilt aber überall der Grundsatz, dass nicht eine Macht gleichzeitig Partei und Richter in einem Streitfall sein soll.
  43. Neunte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM:
    * Es handelt sich hier um eine neue Art von Konflikt, es ist nicht ein Konflikt der bisherigen ethnischen oder religiösen Art, sondern ein stark mit "Kriminalität verbundener Konflikt", einer Kriminalität, die über erhebliche Macht in T. verfügt. Daher ist auch die internationale Vermittlung ein besonderes Problem.
    * T. wäre als unabhängiger Staat nicht lebensfähig, T. lebte zu einem erheblichen Teil von Moskau und von der Kriminalität.
  44. Boris BUDEN / Schriftsteller aus Kroatien:
    * Nun geht man davon aus, dass der russ. Staat "böse" ist, denn (noch) hat er die Kontrolle und daher die Verantwortung. Wie man aber aus der Entwicklung im Jugoslawischen Konflikt der letzten 10 Jahre ersehen kann, könnte es noch "böser" werden, wenn das "Volk" die Kontrolle (z.B. über diese Region) übernimmt, es passieren dann mehr und nicht weniger Greueltaten.
  45. Zehnte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, ein Mann:
    * Was immer auch sonst gesagt werden mag, und wir können die Richtigkeit schwer überprüfen, die eingesetzten Mittel - in dem Fall, die Flächenbombardements - bleiben falsch und ungerecht - wie schon öfter gesagt -, es gibt keine Legitimation dafür.
    * Diese insuffiziente militärische Logik trifft auch - und in erheblichem Masse - die Zivilbevölkerung.
    * Gerade dabei zeigt sich aber auch, dass es sehr wohl nötig ist, auch "Neutrale" zu haben, - denn diese haben am ehesten Zugang zu beiden Seiten, und eine damit zu einer Vermittlungstätigkeit, die von den gewaltsamen Aktionen in Verhandlungsprozesse überführen kann.
    * Das Gesamtszenario zeigt wieder einmal, dass das Hauptproblem im gesamten Weltwirtschaftssystem liegt. Grob gesagt, wird der arme Süden vom reichen Norden ausgesperrt.
    * Ausserdem fehlt den Rüstungslobbies im Westen ein neues Feindbild.
    * Die Forderung der Zivilgesellschaft muss daher sein, dass "nicht-militärische Konfliktlösungen" gesucht werden müssen.
  46. Wolfgang CLIMA / Islamkunde, Wien:
    * Die Sprachregelung die t. Freiheitskämpfer einfach "Banditen" zu nennen, ist ein Unrecht: Schon seit 150 Jahren kämpfen die T. um ihre Unabhängigkeit und werden immer wieder von den Russen als "Verbrecher" abgestempelt. - Heute ist es so, dass praktisch 100% aller T. die Unabhängigkeit wollen, selbst wenn sie dabei einen (noch) "ärmeren" Lebensstandard in Kauf nehmen müssten.
  47. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    * Viele T. leben in Russland, ausserhalb T.s, ich glaube man kann sogar sagen, die Mehrheit der T.. Und diese T. bleiben auch in Russland, und gehen nicht nach T. zurück.
    * Und ich wiederhole, dass die T. in den Jahren 1996 bis 99 kein Referendum abgehalten haben oder eine Umfrage veranstaltet haben über ihre "Unabhängigkeit von der Russischen Föderation.
  48. Dr. Martin MALEK / österr. Landesverteidigungsakademie:
    * Wir haben es in dem T.-Konflikt mit der klassischen Konfrontation zwischen einem Militärapparat und einer Guerillabewegung zu tun. Die Geschichte lehrt, dass solche Konflikte lange dauern, und die Guerilla meist nicht besiegt werden konnten, ausser mit einem vollständigen Genocid (oder einer vollständigen Deportation) die gesamte Bevölkerung erfassend. - Russland will nicht die gesamte t. Bevölkerung für immer weghaben, es will die "Banditen" vernichten.
    * Meine Prognose ist, dass natürlich früher oder später Grosny fallen wird, aber dass im Süden und in den Bergen die Widerstandsnester nicht beseitigt werden können.
  49. Dr. Beate MAEDER-METCALF / OSCE, Deutschland:
    * Tatsächlich beeinflusst die mediale Aufbereitung des T.-Konfliktes sehr stark die Stimmung und Einstellung der russ. Bevölkerung. Die T.-Operation wurde wirksam als Aktion gegen "Banditen" dargestellt, und damit werden die Mittel, u.a. die flächendeckenden Bombardements, legitimiert, selbst wenn Grosny dem Erdboben gleichgemacht wird. - Gleichzeitig muss man sagen, dass es "Banditen" mit Einfluss- und Machtbereichen in T. gibt. Aber die gibt es auch anderswo.
    * Was die Unabhängigkeitsbestrebungen der T. gibt, so begann die Geschichte damit, dass der Zar 30 Jahre brauchte, um die T. zu unterwerfen, und T. als Land zu erobern. - Aber diese Unabhängigkeit hat heute wenig Sinn. - Und die GUS wurde schließlich friedlich gegründet.
  50. Aleksej KORLJAKOV / Sekretär der Russ. Botschaft in Wien:
    * Der Separatismus ist eine Bewegung, die von Leuten ausgenützt wird, die die Fahne der Unabhängigkeit für die eigene Machtausweitung ausnutzen.
  51. Elfte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, eine österr. Offizier, der etliche UNO-Einsätze und OSZE-Friedengespräche mitgemacht hat:
    * Es ist eine unzulässige Pauschalierung die Russen als Mörder hinzustellen.
    * Weiters muss man bedenken, dass Russland nun erst 10 Jahre eine Demokratie ist, man muss Russland mehr Zeit geben. Viele Russen sind sehr wertvolle Menschen.
    * Und es ist auch richtig, dass T. Journalisten entführt haben.
    * Die entscheidende Frage für westliche Staaten und Institutionen kann nur sein, wie man die Kriegführung verhindern und wie man Hilfe in diese Region bringen kann!
  52. Zwölfte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM, eine Frau:
    * Meine Frage an die Experten ist, ob es in Russland Institute gibt, die Friedensforschung betreiben, wie es solche Institute im Westen gibt. Und ob es in Russland Leute und Bürgerrechts-Organisationen (etwa wie die Soldatenmütter) gibt, die für solche Diskussionen, wie sie hier abgeführt wird, offen sind oder wären.
  53. Dr. Franz KUMPEL / CARE - Österreich:
    * Es gibt in Russland NGOs, sogar viele, aber nicht alle sind wirklich engagiert. Viele NGOs wurden auch gegründet, um damit westliche Sponsorengelder anzuzapfen. Etliche NGOs wurden so auch von russ. Staatsstellen selbst gegründet. - Aber es gibt auch einige sehr gute NGOs.
  54. Dr. Leo GABRIEL / Journalist und Kulturanthropologe, Wien:
    * Es gibt in Moskau Institute für Konfliktforschung. Insbes. da es innerhalb der GUS etliche Regionen gibt, wo die Russen selbst eine Minderheit sind. Diese Institute hätten sicher auch Vorschläge zu machen, aber diese Leute gehören zu anderen Kreisen als jene die nun in Russland das "Sagen" haben.
    * Es gilt aber unsererseits die Kräfte der Zivilgesellschaft in Russland zu stärken. Mein Schreiben, das jetzt durch das Publikum zur Mitunterzeichnung geht, hat insbes. dieses Ziel.
  55. Dreizehnte Wortmeldung aus dem PUBLIKUM:
    * Das Problem aller Demokratien ist auch die jeweilige Lösung der Minderheitenfragen: Man kann diese nicht durch das Grundprinzip der Demokratie, nämlich die Majorität entscheidet für alle, einfach überfahren. Es müssen hier feinere Mittel eingesetzt werden.
  56. Boris BUDEN /Schriftsteller aus Kroatien:
    * Es fehlt (noch) eine globale Ebene der Zivilgesellschaft.
  57. Elisa VASS / ORF:
    * Dank an alle Teilnehmer der Diskussion am Podium und im Publikum, und für die Geduld aller Zuhörer, die nunmehr genau vier Stunden ohne Pause aufmerksam und konzentiert allen Ausführungen gefolgt sind.

 

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Abb.: Entwurf einer Skizze der sozio-politischen Situation des T.-Konfliktes
(Status vom 15.1.2000; erstellt vom Institut für Sozialanalyse, Wien)